Covid-19-Pandemie (Corona) und Arbeitsrecht: Leistungsverweigerungsrechte der Arbeitnehmer

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1a. Leistungsverweigerungsrecht wegen notwendiger Kinderbetreuung

Die pandemiebedingte Schließung von Schulen oder Kindergärten kann dem Arbeitnehmer (AN) ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 275 Abs. 3 BGB geben. Voraussetzung ist, dass eine Betreuung durch dritte Personen oder durch den anderen Elternteil nicht in Betracht kommt. Sind beide Elternteile berufstätig, können sie selbst entscheiden, wer von ihnen die Betreuung übernimmt. Voraussetzung ist, dass ein tatsächlicher Betreuungsbedarf besteht. § 45 SGB V gewährt den Bezug von Kinderkrankengeld bis zur Altersgrenze von 12 Jahren. Diese Altersgrenze ist auch vorliegend zu berücksichtigen, wenn keine sonstigen Umstände vorliegen, die eine Betreuung über 12 Jahren unbedingt nötig machen. Bei Kleinkindern ist ein Betreuungsbedarf generell gegeben.

1b. Fraglich ist, ob der Arbeitnehmer in diesem Fall bei dem Fernbleiben von der Arbeit einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat.

aa) Der Arbeitgeber (AG) kann gem. § 616 BGB verpflichtet sein, den Lohn weiterzuzahlen. Zunächst gilt jedoch der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“. § 616 BGB gewährt eine Lohnfortzahlung wegen „einer persönlichen Leistungsverhinderung des AN für eine nicht erhebliche Zeit“. Dieser Anspruch kann jedoch tariflich als auch in einem Einzelarbeitsvertrag ausgeschlossen sein. Soweit dies nicht der Fall ist, entsteht der Anspruch gemäß § 616 BGB, wenn eine vorübergehende Verhinderung auf Seiten des AN eintritt. Eine feste gesetzliche Regelung, welcher Zeitraum im Rahmen von § 616 BGB als „vorübergehend“ anzusehen ist, gibt es nicht. Eine absolute Obergrenze dürfte eine Dauer von maximal 10 Tagen sein, wie sie der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1 Pflegezeitgesetz (PflegeZG) festgelegt hat. Ist ein Kind tatsächlich erkrankt, hat jeder AN, der gesetzlich krankenversichert ist, Anspruch gem. § 45 SGB V auf Pflegekrankengeld. Die Erkrankung des Kindes ist durch ein ärztliches Zeugnis nachzuweisen. Dieser Anspruch gilt nur bei Kindern bis zu 12 Jahren.

bb) Gemäß § 56 Abs. 1a Infektionsschutzgesetz (IfSG) besteht bei Schließung von Schulen und Kindergärten bzw. Horten ein Anspruch auf Entschädigung für den Verdienstausfall. Dies gilt wiederum für die Betreuung von Kindern bis zu 12 Jahren, soweit keine andere Betreuungsmöglichkeit besteht. Insoweit ist auch vom AN nachzuweisen, dass er seine Tätigkeit nicht im Home-Office durchführen kann und darf. Dieser Anspruch ist subsidiär. Er umfasst den Zeitraum von maximal 6 Wochen. Möglicherweise entsteht zeitlich zuerst ein Anspruch gem. § 616 BGB gegen den AG, wenn eine Maßnahme, die zuerst auf maximal eine Woche beschränkt ist, später verlängert wird. Für den Verlängerungszeitraum gilt dann die Entschädigungspflicht gem. § 56 Abs. 1a IfSG. In diesem Fall muss der AG für die Dauer von bis zu 6 Wochen die Zahlung an den AN vornehmen und hat seinerseits einen Erstattungsanspruch gegenüber der zuständigen Behörde.

2. Leistungsverweigerung des AN wegen Anordnung häuslicher Quarantäne

In diesem Fall entfällt die Arbeitsverpflichtung des AN, obwohl er nicht „arbeitsunfähig“ im Sinne der Lohnfortzahlung ist. Die Entschädigung des AN richtet sich nach § 56 IfSG.

3. Erkrankung des AN an Covid-19

Hier entsteht der Lohnfortzahlungsanspruch gemäß § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) bis zu 6 Wochen, wie bei sonstiger Arbeitsunfähigkeit.

4. Leistungsverweigerung des AN wegen Furcht vor einer Infektion

Verweigert ein Arbeitnehmer allein aufgrund der Furcht vor einer Infektion seine Arbeitsleistung, hat er keinen Anspruch auf Lohnersatzleistungen. Ein derartiges Fernbleiben von der Arbeit stellt auch einen Pflichtenverstoß dar, der kündigungsrechtliche Folgen haben kann. Der AG kann in jedem Fall eine Abmahnung aussprechen.

5. Betriebliche Ursache für Leistungshindernis – pandemiebedingte Schließung des Betriebs

Grundsätzlich verwirklicht sich hierdurch das Betriebsrisiko des AG. Der AN ist leistungsbereit und leistungsfähig. Das Bundesarbeitsgericht hat in diesen Fällen einen Lohnfortzahlungsanspruch bejaht. Eine Ausnahme wurde nur eingeräumt, wenn eine Existenzgefährdung des Unternehmens droht, Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAGE) 24/446.

Der AG kann in einem derartigen Fall Kurzarbeit einführen, soweit die Voraussetzungen gegeben sind. Auch die Anordnung von Arbeit im Home-Office kommt in Betracht, soweit dies möglich und sinnvoll ist. Eventuell kommt auch eine zeitlich befristete Versetzung an einen anderen Betriebsort oder eine andere Niederlassung des Unternehmens in Frage. Ein Annahmeverzug des AG und somit die Pflicht zur Entgeltfortzahlung an die AN ist gegeben, wenn die Betriebsschließung auf Verstößen des AG gegen die Arbeitsschutzpflichten gem. § 618 BGB beruht. Insoweit gelten die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel und der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard. Hierzu zählen insbesondere das grundsätzliche Einhalten bestimmter Abstände zwischen einzelnen Personen, eine Handhygiene sowie unter bestimmten Voraussetzungen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung.

RA Heinz Wittmann, Kanzlei Wittmann & Kollegen / Straubing, www.wittmann-kollegen.com
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