Patientenverfügungen auf dem Prüfstand
- Patientenverfügungen werden in der Praxis immer häufiger erstellt, um dem Betroffenen ein würdevolles Sterben zu ermöglichen, ohne dass unnötige lebenserhaltende Maßnahmen eingeleitet werden, insbesondere dann, wenn man sich in einem unabwendbaren Sterbeprozess befindet oder unheilbar krank ist. Meist werden die Patientenverfügungen mit Vorsorgevollmacht verbunden; der Betroffene bevollmächtigt eine Person seines Vertrauens, die für ihn u.a. die Entscheidung gemäß der Patientenverfügung treffen soll, wenn der Betroffene hierzu nicht mehr in der Lage ist. Solche Patientenverfügungen mit Vorsorgevollmacht werden also im Voraus getroffen. Denn eine Patientenverfügung soll ja gerade dann Wirkung entfalten, wenn der Verfügende hierzu nicht mehr in der Lage ist. Sinn und Zweck einer Patientenverfügung sollte daher sein, dass die enthaltenen Verfügungen bindend sind.
- Vor einiger Zeit wurden im Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 1901 a und 1904 BGB) Regelungen zur Patientenverfügung mit Vorsorgevollmacht eingefügt. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 06.07.2016, Az. XII ZB 61/16) ist von großer Brisanz in der Praxis. Diese bedingt, dass Patientenverfügungen nochmals genau überprüft werden sollten. Es ist davon auszugehen, dass zahlreiche Patientenverfügungen nicht bindend sind. In diesem Fall ist der Bevollmächtigte oder der Betreuer nicht in der Lage, sich verbindlich gegenüber Ärzten für oder gegen eine Behandlungsmethode an dem Betroffenen auszusprechen. Sofern sich keine weiteren Hinweise für den geäußerten Wunsch des Betroffenen ermitteln lassen, ist im Ergebnis die Patientenverfügung unbeachtlich. Die Folge ist, dass zahlreiche Personen, die Patientenverfügungen unterschrieben haben, in der trügerischen Hoffnung leben, dass ihnen am Ende ihres Lebens ein unnötiges Leiden erspart wird.
- Worum ging es in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs? Die betroffene Patientin hatte in 2003 und 2011 eine vermeintlich bindende Patientenverfügung erstellt und angeordnet, dass "lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben" sollten, wenn aufgrund von Krankheit oder per Unfall ein schwerer Dauerschaden zurückbleibe.
Der Bundesgerichtshof entschied, dass keine wirksame Patientenverfügung vorlag, so dass keine Bindungswirkung für den Bevollmächtigten bestünde. Eine schriftliche Patientenverfügung entfaltet unter Verweis auf § 1901 a Abs. 1 BGB nur dann Bindungswirkung, wenn darin konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte ärztliche Maßnahmen geregelt sind. Allgemeine Anweisungen, wie "ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten sei", sind nach Ansicht des obersten deutschen Zivilgerichts nicht ausreichend. Ebenso inhaltsleer sei die Äußerung "keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs bedarf es einer Konkretisierung beispielsweise durch Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend konkretisierte Krankheiten oder Behandlungssituationen.
Im Ergebnis bedeutet dies, dass die vom Bundesgerichtshof kritisierten allgemeinen Feststellungen in Patientenverfügungen nicht ausreichen. Es bedarf hingegen einer möglichst konkreten Darstellung der ärztlichen Maßnahmen, die durchzuführen bzw. zu unterlassen sind, alternativ bzw. ergänzend einer Darstellung der spezifizierten Krankheiten und Behandlungssituationen.
Unseres Erachtens erfüllen zahlreiche Patientenverfügungen nicht diese Voraussetzungen. Auch wenn der Bundesgerichtshof sagt, dass die Anforderungen an Patientenverfügungen nicht überspannt werden dürfen, besteht derzeit erhebliche Ungewissheit, wie genau eine Konkretisierung notwendig ist.
- Unsere Empfehlung lautet:
Derzeit besteht die Unsicherheit, wie genau und konkret eine derartige Patientenverfügung ausgestaltet sein muss:- Bei bereits bestehenden Patientenverfügungen: Unter den vom Bundesgerichtshof aufgestellten Gesichtspunkten sollte diese Patientenverfügung nochmals durchgelesen werden. Darüber hinaus empfiehlt sich bei Zweifel sowohl eine juristische Beratung als auch eine Beratung durch den (Haus-)Arzt, da dieser konkrete Behandlungsmethoden, Krankheiten etc. genauer definieren kann.
- Bei der Erstellung der neuen Patientenverfügungen sollte genau auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geachtet werden. Eine kompetente juristische und medizinische Beratung wird empfohlen.
RA / StB Prof. Dr. Markus Hofbauer, Kanzlei Prof. Dr. Hofbauer und Kollegen / Straubing, www.hofbauer-kollegen.de
Steuernews Print-Ausgabe Winter 2016, Rechtsstand 11/2016
Hinweis:
Bitte beachten Sie hierzu auch die Ausgabe 01/2016 unserer Steuernews mit allgemeinen Hinweisen und Empfehlungen zur Betreuungsverfügung, Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung von Herrn Notar Dr. Sommerfeld.