Fristlos kündigen nach Diebstahl geringwertiger Gegenstände?

Kanzleimarketing

1. Problemstellung

Die in der Presse in letzter Zeit mehrfach erwähnten Fälle von Diebstählen geringwertiger Sachen des Arbeitgebers und eine hierauf gestützte außerordentliche Kündigung haben großes Aufsehen erregt und sind äußerst unterschiedlich diskutiert worden. Zum einen handelt es sich um den Fall „Emily“, wobei eine angestellte Kassiererin zwei ihr übergebene Leergutbons im Wert von insgesamt 1,30 € bei einem Einkauf zu ihrem eigenen Vorteil eingelöst hat; zum anderen handelt es sich um den „Frikadellenfall“ einer langjährigen Angestellten eines Arbeitgeberverbandes in Westdeutschland. Diese langjährige Angestellte hatte beim Vorbereiten eines Buffets für Gäste zwei oder drei Frikadellen gegessen.

In der Öffentlichkeit wurden beide Fälle hauptsächlich unter dem Aspekt betrachtet,

  • welchen Wert die unterschlagenen oder entwendeten Gegenstände für den Arbeitgeber gehabt haben.

Diese Abwägung ist in arbeitsrechtlicher Hinsicht nicht umfassend genug und berücksichtigt die Interessen des Arbeitgebers nicht ausreichend.

2. Rechtsfolge

Beide Fälle sind unter dem Aspekt zu bewerten, wie sich „Straftaten im Arbeitsverhältnis“auswirken.

Generell gilt: Ein Arbeitnehmer, der im Zusammenhang mit seiner Arbeitsleistung strafrechtlich relevante Handlungen gegen das Vermögen seines Arbeitgebers begeht, verletzt damit seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht schwerwiegend und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen in erheblicher Weise.

Aus diesem Grunde rechtfertigen üblicherweise auch Diebstähle oder Unterschlagungen geringwertiger Sachen eine außerordentliche Kündigung. Dies gilt auch für ähnlich gelagerte Sachverhalte, wie „Spesenbetrug und Arbeitszeitbetrug“.

3. Arbeitsrechtliche Wertung

Bei jedem Verstoß eines Arbeitnehmers gegen arbeitsvertragliche Pflichten muss der Arbeitgeber eine Abwägung treffen,

  • welche Sanktion er in Erwägung zieht.

Dies kann je nach Schwere des Verstoßes sein

  • Ermahnung oder eine förmliche Abmahnung
  • oder eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung.

Bei der Frage der Sanktion sind jeweils die beiderseitigen Interessen gegeneinander abzuwägen. Einerseits ist dies das Interesse des Arbeitnehmers am Beibehalt des Arbeitsplatzes. Zu Gunsten des Arbeitnehmers sind die Kriterien heranzuziehen:

  • Dauer des Arbeitsverhältnisses, Lebensalter, Unterhaltspflichten, spezielle Stellung in der Firma

Auf Seiten des Arbeitgebers ist zu bewerten:

  • Wie gravierend ist die Verletzung der arbeitsvertraglichen Verpflichtung?
  • Welche Folgen hat der Verstoß im Hinblick auf das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber,
  • eventuell auch im Hinblick auf das Verhalten von Mitarbeitern

Bei dem Diebstahl oder der Unterschlagung geringwertiger Wirtschaftsgüter liegt in jedem Falle eine strafbare Handlung vor.

Bei der Abwägung, ob ein derartiger Vorfall eine außerordentliche oder ggf. zumindest eine ordentliche Kündigung rechtfertigt, hat der Arbeitgeber zugunsten des Arbeitnehmers folgende Kriterien zu berücksichtigen und abzuwägen:

  • Ist der konkrete Diebstahl einer geringwertigen Sache geeignet, das Vertrauensverhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer endgültig und auf Dauer zu zerstören?
  • Hierbei sind zugunsten des Arbeitnehmers seine Sozialdaten zu berücksichtigen (Betriebszugehörigkeit, Alter, soziale Verpflichtungen, bisheriges Verhalten, Stellung im Betrieb).

Daher kann sich die Unehrlichkeit einer Kassiererin wesentlich schwerwiegender auswirken als beispielsweise der Diebstahl einer Zigarette im Eigentum des Arbeitgebers „im Vorbeigehen“. Nachdem die Kassiererin tagtäglich direkt damit befasst ist, ordnungsgemäß und richtig abzurechnen und der Arbeitgeber hierauf auch vertrauen muss, wiegt ein Verstoß in einer derartigen Stellung wesentlich schwerer als ein Diebstahl einer geringwertigen Sache lediglich „im Vorbeigehen“ und somit zufällig.

Es ist hierbei auch zu berücksichtigen, dass ein derartiges negatives Verhalten eines Arbeitnehmers sich auf die Disziplin anderer Arbeitnehmer auswirken kann, die diesen Vorfall eventuell beobachtet haben oder von ihm Kenntnis erlangen. Außerdem wird durch eine derartige Tat das Vertrauen des Arbeitgebers in die Loyalität seines Arbeitnehmers schwerwiegend gestört.

4. Vorgehensweise des Arbeitgebers

  • Sichern objektiver Beweise
  • Niederlegung des Ergebnisses, z.B. durch schriftlich fixierte Zeugenaussagen
  • Anhörung des Arbeitnehmers
  • Unterrichtung des Betriebsrates zur Zustimmung einer außerordentlichen und hilfsweisen ordentlichen Kündigung
  • Interne Abwägung zwischen dem Vertrauensverlust des Arbeitgebers einerseits sowie andererseits der Betriebszugehörigkeit, des Alters, der Stellung im Betrieb des Arbeitnehmers
  • Einhaltung der 2-Wochenfrist gemäß § 626, Abs. 2 BGB bei Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung

Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Bundesarbeitsgericht inzwischen seit mehr als 25 Jahren bei dem Diebstahl oder der Unterschlagung geringwertiger Sachen des Arbeitgebers grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung als berechtigt ansieht. Im Einzelfall sind jedoch die besonderen Umstände der aufgedeckten Tat zu berücksichtigen.

Praxistipp: Die Anhörung des Arbeitnehmers zu dem aufgedeckten Vorfall sollte in jedem Falle vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung erfolgen. Die hierbei gemachten Aussagen des Arbeitnehmers sind schriftlich festzuhalten.

Erst nach einer Wertung des gesamten Sachverhalts soll der Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller angesprochener Gesichtspunkte eine Entscheidung treffen.

  • Ist der Vorfall und damit der Vertrauensverlust des Arbeitgebers so gravierend, dass dies eine außerordentliche, ggf. eine ordentliche Kündigung rechtfertigt?
  • Liegt ein besonders gelagerter Fall vor, für den der Ausspruch einer Abmahnung ausreichend ist (z.B. Diebstahl lediglich „im Vorbeigehen“) und nicht im Rahmen der Tätigkeit des Arbeitnehmers (z.B. Kassiererin)?

RA Heinz Wittmann, Kanzlei Wittmann & Kollegen / Straubing, www.wittmann-kollegen.com 
Steuernews Print-Ausgabe Winter 2009, Rechtsstand 11/2009