Das Familienpflegezeitgesetz - Revolution im Arbeitsrecht und bei der Pflege von Familienangehörigen

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1. Erhebliche Änderungen für Arbeitswelt durch neues Familienpflegezeitgesetz

Unbeachtet von der Öffentlichkeit trat am 1.1.2012 das Familienpflegezeitgesetz (FamPfZG) in Kraft. Für die Arbeitswelt und für viele Arbeitsverhältnisse bringt dieses Gesetz erhebliche Veränderungen.

Bisher konnte ein Arbeitnehmer nach dem bereits seit 2008 gültigen Pflegezeitgesetz im Falle einer akut auftretenden Pflegesituation eines nahen Angehörigen für maximal 10 Arbeitstage der Arbeit fernbleiben (§ 2 PflegeZG).

Außerdem haben Beschäftigte gemäß § 3 PflegeZG im Betrieb mit mehr als 15 Arbeitnehmerneinen Anspruch auf teilweise oder vollständige Freistellung bis zu 6 Monaten, wenn sie einen nahen Angehörigen pflegen.

In der Zeit dieser Freistellung wegen Pflege nach §§ 2, 3 PflegeZG kann der Arbeitnehmer nicht gekündigt werden.

Der Arbeitgeber ist jedoch zur Lohnfortzahlung in diesen Fällen generell nicht verpflichtet. Gegebenenfalls gibt es hier staatliche Unterstützungsleistungen neben dem Pflegegeld.

2. Vertrag über Familienpflege vorerst auf freiwilliger Basis

Das neu geschaffene Familienpflegezeitgesetz löst das Problem der fehlenden Lohnersatzleistung, in dem es staatliche Sicherheiten für die Zeit der Reduzierung oder Wegfall der Arbeitsleistung bietet. Außerdem schafft das Gesetz eine rechtliche Grundlage für Teilzeitarbeit bei Pflege von nahen Angehörigen.

Ein Arbeitgeber kann jedoch nach der nunmehr vorliegenden Fassung des Gesetzes nicht zum Abschluss eines Vertrages für Familienpflege gezwungen werden, sofern nicht in Tarifverträgen oder in Betriebsvereinbarungen ein entsprechender Anspruch niedergelegt wird. Hiermit ist jedoch in vielen Branchen künftig zu rechnen, da die Familienpflege vom Gesetzgeber gewünscht und gefordert wird.

Somit kann vorerst auf freiwilliger Basis ein Vertrag über eine Familienpflege abgeschlossen werden. Beschäftigte, die einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegen, können somit

  • für die Dauer von längstens 24 Monaten ihre Arbeitszeit verringern. Dabei müssen sie während der Familienpflegezeit mindestens 15 Wochenstunden arbeiten.

Die Familienpflegezeit setzt eine schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer voraus.

3. Ersatz des Lohnausfalles

Das Familienpflegezeitgesetz geht davon aus, dass der Arbeitnehmer während der Teilzeit zur Abmilderung des Lohnausfalls eine Lohnaufstockung erhält. Der förderungsfähige Aufstockungsbetrag beträgt die Hälfte der Differenz zwischen dem bisherigen Bruttoarbeitsentgelt und dem sich durch die Arbeitszeitreduzierung ergebenden geringeren Arbeitsentgelt. Die Familienpflegezeit entfaltet die größte Wirkung bei

  • Vollzeitbeschäftigten, die ihre Arbeitszeit halbieren. Sie erhalten 75 % des Lohns, wovon der Arbeitgeber effektiv 50 % bezahlt.

Die Lohnaufstockung kann durch den Abbau eines vorhandenen Arbeitszeitwertguthabens des Arbeitnehmers finanziert werden. Das Gesetz ermöglicht die Familienpflegezeit aber auch, wenn ein Wertguthaben nicht besteht. Dann entwickelt sich das Wertguthaben während der Teilzeitarbeit zunächst negativ. Der Arbeitgeber geht hinsichtlich des Aufstockungsbetrages in Vorleistung. Der Arbeitnehmer gleicht das Wertguthaben nach dem Ende der Familienpflegezeit aus, in dem er in der so genannten Nachpflegephase unbezahlte Mehrarbeit im Wert des Aufstockungsbetrags leistet. Diese Vorleistung durch Lohnaufstockung kann der Arbeitgeber durch den Staat zwischenfinanzieren. Sofern der Arbeitgeber freiwillig einen höheren als den förderungsfähigen Aufstockungsbetrag leistet, steht ihm insoweit keine staatliche Förderung zu.

Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Familienpflegezeit erfüllt sind, muss der Arbeitgeber trotz seiner Vorleistung kein wirtschaftliches Risiko tragen. Nach § 3 FamPfZG hat der Arbeitgeber gegen das Bundesamt für Familie und Zivildienst einen Anspruch auf ein zinsloses Darlehen in Höhe des Aufstockungsbetrages. Damit trägt ausschließlich der Staat das wirtschaftliche Risiko, dass der Arbeitnehmer vorab den Aufstockungsbetrag erhält, anschließend aber keinen Ausgleich durch Mehrarbeit herbeiführt. Das Risiko des Todes und der Berufsunfähigkeit des Beschäftigten wird durch die Familienpflegezeitversicherung übernommen.

Dem Arbeitgeber steht es frei, in der Zeit der Familienpflege eines Beschäftigten eine Ersatzarbeitskraft befristet einzustellen. Die Familienpflegezeit endet nach Ablauf der 24 Monate oder mit Ablauf des zweiten Monats nach Wegfall einer ihrer gesetzlichen Voraussetzungen.

4. Kündigungsschutz

§ 9 Abs. 3 FamPfZG beinhaltet einen Sonderkündigungsschutz. Der Arbeitgeber darf das Arbeitsverhältnis während der Familienpflegezeit und der so genannten "Nachpflegephase" nur ausnahmsweise und in besonderen Fällen mit Zustimmung der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde kündigen. Kündigt der Arbeitgeber erlaubterweise aus verhaltensbedingten Gründen, so hat er einen Anspruch auf Ausgleich des Wertguthabens in Geld gegen den Beschäftigten. Bei personen- oder betriebsbedingten Kündigungen, bei denen die Zustimmung erteilt wurde, besteht der Ausgleichsanspruch nur, sofern der Arbeitgeber gegen Forderungen des Arbeitnehmers aufrechnen kann. Kann er dies nicht, beispielsweise bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses, hat der Arbeitgeber die Aufstockungsbeträge vorgeleistet, ohne dass er diese zurückverlangen kann. Kündigt der Arbeitnehmer vor dem Ende der Nachpflegezeit oder schließt er mit dem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag vor diesem Zeitpunkt, so hat der Arbeitgeber einen Ausgleichsanspruch.

5. Fazit

Das Familienpflegezeitgesetz soll gemeinsam mit dem Pflegezeitgesetz, das in weiten Teilen völlig unbekannt geblieben ist, den Bedürfnissen pflegender Angehöriger in einer alternden Gesellschaft gerecht werden. Das Gesetz ist ein Versuch, die Arbeitsverhältnisse auf den demografischen Wandel in der Bundesrepublik Deutschland einzustellen.

Fraglich wird in der Umsetzung sein, wie praktikabel sich die Regelungen im Alltag darstellen.

Bei der Vereinbarung einer Familienpflegezeit sind nach derzeitiger Sicht vom Arbeitgeber zahlreiche Fallstricke zu beachten, denn im Zweifel trägt er das wirtschaftliche Risiko bei fehlerhaften Verträgen. Dieses Risiko kann durch entsprechende Hilfe eines Fachanwalts für Arbeitsrecht gemindert werden. Darüber hinaus hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Erarbeitung eines Mustervertrages angekündigt, der im Internet für jeden Arbeitgeber aufrufbar sein soll.

RA Heinz Wittmann, RAin Barbara Wittmann, Kanzlei Wittmann & Kollegen / Straubing, www.wittmann-kollegen.com 
Steuernews Print-Ausgabe Frühjahr 2012, Rechtsstand 03/2012