Verhandeln ist nicht Aushandeln oder das Kreuz mit dem Kleingedruckten
Eine neue Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 22.11.2012 (VI ZR 222/12) gibt Anlass, sich mit einem „Dauerbrenner“ des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Recht) wieder zu beschäftigen: Wann liegt ein sogenanntes Aushandeln vor, so dass das strenge AGB-Recht nicht zur Anwendung kommt?
Hintergrund war ein Vertrag zwischen zwei Unternehmen, der von dem einen Unternehmen (Betreiberin einer Müllverbrennungsanlage) gestellt und alsdann zwischen den beiden Vertragsparteien intensiv verhandelt wurde. Inhalt war auch eine mehrfach verwendete Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Müllverbrennungsunternehmens, wonach der Vertragspartner auch dann das volle Entgelt zahlen musste, wenn er nur eine Mindermenge Müll lieferte und dies nicht innerhalb eines gewissen Zeitraumes durch Mehrlieferungen kompensierte (sog. „bring-or-pay-Klausel“). Der Vertragspartner ließ den gesamten Vertrag juristisch prüfen und beanstandete diese Klausel, jedoch ohne Erfolg. Im Rahmen der intensiven Vertragsverhandlungen änderte das Müllverbrennungsunternehmen zwar einige Bedingungen, wie unter anderem die Laufzeit zugunsten des Vertragspartners, die „bring-or-pay-Klausel“ blieb aber unverändert.
Das Ergebnis:
Der BGH ist der Ansicht, dass die „bring-or-pay-Klausel“ eine vorformulierte Bestimmung darstelle und im übrigen nach AGB-Recht unwirksam sei. Wäre die Klausel ausgehandelt worden, wäre sie wirksam. Intensive Verhandlungen über den Vertrag zwischen zwei Unternehmen reichen nicht aus.
Grundsatz des BGH:
Ein Aushandeln ist mehr als bloßes Verhandeln. Aushandeln bedeutet, dass der Verwender von AGB die Klausel ernsthaft zur Disposition stellt. In der Regel ist der vorformulierte Text zu ändern.
Ausnahmen:
Nur unter strengen Voraussetzungen lässt der BGH von diesem Grundsatz Ausnahmen zu und sieht eine unverändert gebliebene Klausel als ausgehandelt an:
- Der Vertragspartner hat sich die Klausel zu eigen gemacht und als sachlich berechtigt akzeptiert, also in seinen Vertragswillen aufgenommen; oder
- nach intensiven Verhandlungen kommt es an anderer Stelle des Vertrages zu einer Kompensation für die unverändert gebliebene Klausel.
Beweislast:
Derjenige, der die jeweilige Klausel stellt (sog. „Verwender“), ist darlegungs- und beweispflichtig für das Aushandeln. Ohne optimale Ausgestaltung und Dokumentation der Verhandlungen und Verhandlungsergebnisse erscheint ein Nachweis als kaum möglich.
Empfehlungen:
Je nachdem, auf welcher Seite man steht, empfehlen sich folgende Maßnahmen:
Für den Verwender von mehrfach verwendeten Klauseln:
- Überprüfen Sie mehrfach verwendete Klauseln auf AGB-rechtliche Wirksamkeit.
- Eine exakte, schriftliche Dokumentation über die Verhandlungen ist notwendig.
- Stellen Sie keine vorformulierten zentralen Klauseln, sondern vereinbaren Sie diese individuell.
- Andernfalls erklären Sie dem Vertragspartner, dass die Klauseln abgeändert werden können und fordern ihn auf, geeignete Änderungsvorschläge unter Berücksichtigung beider Interessen zu unterbreiten. Akzeptieren Sie Änderungen.
- Sofern einzelne Klauseln für Sie nicht verhandelbar sind, erfassen Sie jegliche Änderung anderer Bestimmungen, die als Kompensation der nicht verhandelbaren Klausel akzeptiert wurde.
Für den Vertragspartner des Verwenders:
- Für Sie ist es vorteilhaft, wenn AGB-Recht zur Anwendung kommt, so dass Sie sich auf die Unwirksamkeit einzelner Bestimmungen berufen können.
- Lehnen Sie AGB-rechtlich als unwirksam erkannte Klauseln ausdrücklich ab, wenn möglich sollten nähere Verhandlungen hierüber unterbleiben.
- Vermeiden Sie den Anschein einer „Kompensation“ derartiger Klauseln.
- Dokumentieren Sie die Vertragsverhandlungen aus Ihrer Sicht.
Fazit:
Zu Recht wird die Haltung des BGH zur Anwendbarkeit von AGB-Recht bei Verträgen zwischen Unternehmern als viel zu starr angesehen. Die Rechtsprechung wird nicht den Bedürfnissen heutiger Vertragsgestaltung und -verhandlungen zwischen Unternehmern gerecht, die ein höheres Maß an „Elastizität“ erfordern. Trotz (intensiver) Verhandlungen unterliegt die Partei, die den Vertrag stellt, einem erheblichen Risiko, dass einzelne Bestimmungen AGB-rechtlich unwirksam sind. Eine umfassende Vorbereitung, Prüfung und Dokumentation ist unerlässlich. Eine Änderung der Rechtsprechung ist nicht zu erwarten. Allgemein wird daher ein Einschreiten des Gesetzgebers gefordert.
RA / StB Prof. Dr. Markus Hofbauer, Kanzlei Prof. Dr. Hofbauer und Kollegen / Straubing, www.hofbauer-kollegen.de
Steuernews Print-Ausgabe Sommer 2013, Rechtsstand 05/2013