
Wirtschaft
Die Deutschen entsagen der Selbstständigkeit
Von allen Erwerbstätigen in Deutschland wird ihre Stimme am wenigsten vernommen: Dabei spielen Selbstständige eine wichtige Rolle, wenn es um die Lebensqualität aller und die volkswirtschaftliche Dynamik geht.
Der ökonomische Mehltau, der sich in den vergangenen Jahren über Deutschland gelegt hat, scheint Freiberufler und Kleinunternehmer aber besonders zu hemmen. Das bestätigt der Jimdo-Ifo-Index für Selbstständige, der jetzt veröffentlicht wurde. Ebenso wie der bekannte Ifo-Geschäftsklimaindex fungiert der Jimdo-Ifo-Index gewissermaßen als Barometer für die Stimmung bei den Selbstständigen. Das Ergebnis ist deprimierend. Im Spätsommer hat sich das Geschäftsklima unter Freiberuflern und Unternehmen mit weniger als neun Mitarbeitern (so die Definition) noch mal deutlich eingetrübt. Von niedrigen minus 13,4 Punkten im Juli sank der Wert auf minus 18,4 Punkte im August.
Die Werte verstehen sich als Salden, was bedeutet, dass negative Werte darauf hindeuten, dass die Situation als überwiegend negativ wahrgenommen wird. Mit minus 18,4 Prozent ist der Jimdo-Index auf dem tiefsten Stand des Jahres. Selbstständige beurteilten vor allem ihre aktuelle Lage im Spätsommer spürbar schlechter. Aber auch bei den Geschäftserwartungen hat der Pessimismus zugenommen. Der Rückgang fiel sogar stärker aus als in der Gesamtwirtschaft, die sich in der Stagnation, wenn nicht in der Rezession befindet. „Die Selbstständigen können sich dem Abwärtssog der Gesamtwirtschaft nicht entziehen“, sagt Ifo-Expertin Katrin Demmelhuber. „Aktuell lassen sich kaum Anzeichen für Optimismus erkennen.“
Viele Freiberufler bekommen Aufträge von großen Unternehmen, darunter Freelancer im IT-Bereich. Andere Selbstständige haben beispielsweise einen Kiosk oder ein Restaurant, und hängen so gesehen an der Verbraucherstimmung. „Aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Unsicherheit sind sowohl Großunternehmen als auch Konsumenten mit Aufträgen zurückhaltend“, urteilt Demmelhuber. „Der Auftragsmangel bleibt ein zentrales Problem.“ Vielerorts meldeten die Selbstständigen im Dienstleistungsbereich oder im Einzelhandel rückläufige Umsätze. Besonders schlecht ist das Geschäftsklima für Selbstständige jedoch im Verarbeitenden Gewerbe und am Bau, was viele Handwerksbetriebe betrifft. In der Industrie klagen viele über die hohen Energiekosten, in der Bauwirtschaft kommt die allgemeine Unsicherheit hinzu. Einen Lichtblick bietet laut Ifo-Institut immerhin der Tourismus, wo sich die Situation erneut verbessert hat.
Die konjunkturbedingte Verschlechterung der Situation verschärft die allgemeine Krise der freiberuflichen oder unternehmerischen Lebensform in Deutschland. Schon seit Jahren geht die absolute Zahl der Selbstständigen zurück, 2023 erst waren es mit 3,8 Millionen so wenige wie zuletzt Mitte der 1990er-Jahre. Auf dem Rückzug ist die Selbstständigkeit aber vor allem im Vergleich mit der Gesamtwirtschaft. In den vergangenen fünf Jahrzehnten hat sich der Anteil der Freiberufler und Kleinunternehmer an allen Erwerbstätigen nahezu halbiert: Mit 8,4 Prozent hat er jetzt in Deutschland einen historischen Tiefstand erreicht.
Zum Teil lässt sich das damit erklären, dass Selbstständigkeit für viele zwischenzeitlich eine Art Notlösung war. Wer in den 1990er- oder den Nullerjahren seinen Job verlor, meldete sich zum Beispiel häufig als Solo-Selbstständiger an. „Nach der Einführung der Hartz-Gesetze wurden solche Verlegenheitsgründungen als Ich-AG bekannt“, sagt Holger Schäfer, Ökonom beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Finanzielle Förderung im Zuge der Existenzgründungsförderung machte es zusätzlich attraktiv, sich selbstständig zu machen. In dem Maße, wie sich Jobsituation zwischenzeitlich gebessert hatte, gingen zahlreiche Solo-Selbstständige dann wieder zurück in den regulären Arbeitsmarkt. „Wenn viele Stellen zur Verfügung stehen, dann wechseln viele Menschen wieder in abhängige Beschäftigung, weil ihnen das eher liegt“, sagt Schäfer.
Das erklärt jedoch nicht das ganze Ausmaß der Krise, in der sich die freiberufliche und unternehmerische Lebensform in Deutschland befindet. „Die Rahmenbedingungen werden als nicht gut wahrgenommen“, erklärt der Ökonom. Im vergangenen Jahrzehnt haben sie sich weiter verschlechtert. So fühlen sich viele Freiberufler durch Gesetze regelrecht gegängelt, die sich gegen Scheinselbstständigkeit richten, für die Freiberufler oder ihre Auftraggeber aber einen enormen bürokratischen Mehraufwand bedeuten. „Solo-Selbstständige fühlen sich häufig unter Generalverdacht“, berichtet Schäfer, was ihre wirtschaftliche Aktivität unnötig ausbremse. Wegen der vielen bürokratischen Hürden hierzulande sollen manche Unternehmen bevorzugt IT-Freelancer im Ausland beauftragen.
Verteuert hat sich für viele Selbstständige unter anderem auch die Sozialversicherung für ihre Kinder. Selbstständige, die selbst Mitarbeiter beschäftigen, klagen darüber hinaus, wie schwierig es ist, qualifiziertes und motiviertes Personal zu finden. Das hemmt nicht zuletzt die Entwicklung Selbstständiger in der Gastronomie oder im Handwerk. In diesen Bereichen, aber auch in anderen Dienstleistungsbereichen, zeichnen sich Freiberufler dadurch aus, dass sie besonderes Engagement zeigen und viele mehr Stunden arbeiten als sozialversicherungspflichtige Arbeiter oder Angestellte. Interessanterweise ist dieses Engagement relativ unabhängig davon, ob die Selbstständigen ein sehr hohes oder ein eher niedriges Einkommen haben.
Der Rückgang der Selbstständigkeit könnte sich folglich auch auf die wirtschaftliche Dynamik in Deutschland auswirken. „Selbstständigkeit ein wichtiges Instrument bei der Bewältigung von Arbeitskräfteknappheit“, erklärt Schäfer. Gerade die Flexibilität, zu der Freiberufler bereit sind, erlaubt es Firmen zum Beispiel, schnell auf eine anziehende Auftragslage zu reagieren. Auch dies spricht aus ökonomischer Sicht dagegen, die selbstständige Lebensform durch staatliche Auflagen allzu sehr zu gängeln. „Die Bedingungen müssen stimmen“, erklärt Schäfer und verweist darauf, dass IT-Freelancer zum Beispiel von einer Gesetzgebung betroffen sind, die sich eigentlich gegen Scheinselbstständigkeit unter Uber-Fahrern richten sollte. Damit es eine Wende zum Besseren gibt, müsste die Stimme der Selbstständigen aber auch von den Entscheidern in der Politik gehört werden.
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